Zeitschriftenraser hat geschrieben:
und reformorientierter Pragmatismus heißt, vor Allem aufgrund der Alternativlosigkeit der parlamentarischen Demokratie, das bestehende System durch den Druck der Bevölkerung auf der Straße in Zugzwang zu bringen und so parlamentarische Mehrheiten zu ermöglichen, die dann im Rahmen von Reformen zu einer weitergehenden Demokratisierung des Systems führen.
Zu den oben zitierten Ergänzungen von Dir noch:
1. Die parlamentarische Demokratie ist keineswegs "alternativlos". Mögliche Alternativen wären z. B. ein imperatives Mandatswesen (wenn man schon Repräsentanten haben will), oder eben komplett ohne Representanten ein System einer direkten Demokratie. Dazu bräuchte es kein Parlament, sondern "nur" eine Abstimmungsbehörde, und im Extremfall würde jeder Pups halt zu einer großen Volksabstimmung führen. Ist natürlich eine Extremvorstellung, aber ich denke mal, die Grundrichtung, wie ein demokratisches System auch ausgerichtet sein könnte, kommt hoffentlich einigermaßen verständlich rüber.
2. "Druck der Bevölkerung auf der Straße" bringt auch nichts. Die Represäntanten, und zwar egal wer da gerade von wem wie gewählt oder sonstwie etabliert wurde, sind nämlich in der Realität dem Volk in keinster Weise verpflichtet. Weder kann man sie irgendwie zur Rechenschaft ziehen, noch haben sie überhaupt konkrete Mandate. Sie sind einfach nur da, und sie können quasi machen was sie wollen. Das Ergebnis ist, dass sie sich vornehmlich um ihre eigenen Nebeninteressen kümmern.
3. Wenn man also etwas ändern will, dann muss man entweder das System als solches grundlegend modifizieren (siehe 1.), oder (siehe 2.) Mechanismen etablieren, die entweder die Representaten verbindlich in die Pflicht nehmen, oder zumindest Mechanismen an der Hand haben, um Machtmißbrauch wirksam abschalten zu können.
D. h. es läuft entweder doch auf "Revolution" im weitesten Sinne raus (es müssen ja nicht gleich Guillotinen auf allen Marktplätzen aufgestellt werden), mit dem Ziel einer fundamentalen Systemveränderung. Oder man möchte das System als solches nicht verändern und braucht neben dem System eben alternative Kräfte, die sich um die Abstrafung politischer Sünden kümmern. Die 68er-APO war mal sowas. Die RAF auch. Dummerweise fehlt uns das alles heute. Ich behaupte, wenn wir beides noch hätten, bzw. der heutigen Zeit angemessene Äquivalente dazu, würde Politik gesünder laufen. Denn - mal ganz platt formuliert - Politiker, die Angst haben müssen, bei Machtmißbrauch in die Luft gejagt zu werden, überlegen sich vielleicht etwas besser, wie viel Murks sie anrichten können.
Das ist übrigens "Pragmatismus", nur mal so am Rande. Nicht schön, nicht moralisch sauber, aber eben pragmatisch.
Ach ja, und dann noch zu Deiner Illusion von "weitergehender Demokratisierung": Du weißt, dass sowohl CDU/CSU, SPD, FDP wie auch Grüne innerhalb der letzten 20 Jahre mehrfach die Einführung von bundesweiten Volksentscheiden in ihren Wahlprogrammen hatten? Du weißt auch, dass alle diese Parteien zwischenzeitlich mal an der Macht waren? Und Du weißt auch, wie es um Volksentscheide nach wie vor bestellt ist? Glaubst Du immer noch, dass Du innerhalb dieses Systems irgendwie was verändern kannst, ohne massiven (mehr oder weniger unfeinen) Druck? "Bitte bitte" sagen bringt gar nichts. Auf die Straße gehen auch nicht. Das ganze System stürzen vielleicht schon mehr. Nebeninteressen in die Luft sprengen auch schon mehr.
Oder man geht eben den Weg, dass man sich selbst von diesem Politsystem entkoppelt, sein eigenes Ding macht, Politik/Recht/Gesetz als das Übel anderer Leute betrachtet und einfach nach seinem eigenen Ethik-Kodex lebt. Das führt zu Parallelgesellschaften, ist aber gewaltfrei. Und führt, wenn genug Leute so leben, am langen Ende auch zum Systemzerfall.