ich hab grad einen Leserbrief an das Hamburger Abendblatt geschrieben.
Zitat:
Betreff: Wahnsinn auf zwei Rädern oder in der Journalistik
Guten Tag, Herr Nico Binde.
Meine fürsorgliche Mutter ("Das könnte Dich vielleicht interessieren, ist über so Fixies") brachte mir vorhin Ihren Artikel namens "Wahnsinn auf zwei Rädern" mit. Der Untertitel ließ mich schon den Kopf schütteln. Ich möchte und werde den Artikel nicht weiterlesen. Ich möchte nicht wissen, welches von anderen Medien kopierte falsche Halbwissen und halbe Falschwissen trotz scheinbarer aber schnell infrage zu stellender Zusammenarbeit mit Holger Brütt nun wieder ohne Gegenrechnung irgendwelcher Ergebnisse veröffentlicht wurde.
"sogenannte fixed gear bikes. Fahrräder ohne Rücktrittbremse."
Man muß kein Fahrrad-Sammler, -Mechaniker, -Verkäufer oder -Kurier sein wie ich es alles viere bin, um sich für Ihre mutmaßliche Erklärung eines fixed gear bikes schlichtweg fremdzuschämen. Man sollte an Ihrer Stelle als Journalist jedoch in der Lage sein, möglicherweise einer Leserschaft zuvor Unbekanntes auch in den wenigen Worten eines Untertitels zutreffender zu erklären als mit "sogenannte Formel-1-Rennwagen. Autos ohne elektrischen Fensterheber", oder "sogenanntes Schach. Ein Brettspiel ohne Würfel." oder "sogenanntes Hamburg. Eine Stadt mit Rathaus."
Richtig ist durchaus, daß sogenannte Fixies keine konventionelle Rücktrittbremse haben. Jedoch fehlt ihnen diese genauso wie den meisten holländischen Fietsen [alternativ: Stempelbremse bzw. Kackeschieber], Mountainbikes [alternativ: Felgen- oder Scheibenbremse], Rennräder [alternativ: Felgenbremse], und sicherlich auch zweidrittel aller übrigen auf Hamburgs Straßen befindlichen Trekking-Gurken [alternativ: Rollenbremse, Felgenbremse, Scheibenbremse]. Es gibt, ehrlich gesagt, nur noch sehr, sehr wenige Fahrräder mit der in Ihrer Bremswirkung und ihrer Dosierfähigkeit längst vielfach übertroffenen Rücktrittbremse. Ich möchte mutig und sehr grob geschätzt behaupten, daß mehr als 80% der in Verkehr befindlichen Räder dank des seit drei Jahrzenten marktführenden Antriebssystems einer Kettenschaltung die Verwendung einer Rücktrittbremse mechanisch zwingend ausschließen.
Nun haben Sie Holger Brütt gefunden und eine Recherche zum Thema fixed gear bikes durchgeführt, die anscheinend wieder einmal -wie bei so vielen Ihrer journalistischen Kollegen zuvor- ein Schuß in den Ofen war. Ich verstehe nicht, wie jemand, der keine Ahnung von einem Thema hat, den Mut haben kann, dieses anzurühren – und sein ungewiß falsches oder richtiges Vorwissen mithilfe seiner Recherche zu einem solchen schon im Untertitel sich als peinlich herausstellenden Halbwissen modelliert, um dieses mit offensichtlich mangelhafter Gegenprobe in ungeschickten Worten der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Diese Öffentlichkeit ist auf dieses Thema durch viele Dutzend ähnliche Ergebnisse halber Wissen jedoch schon sensationsgeil genug, so daß farbliche oder kursive Hervorhebungen wie "Wahnsinn auf zwei Rädern", "Fahrräder ohne Rücktrittbremse", "Es ist verboten und nicht ganz einfach" von einem womöglich lesefauleren Nutzer Ihres Leseproduktes ebenso falsch in seiner Irrmeinung zu "diesen verdammten Radkurieren" abgeheftet werden.
Aus den Mündern verschiedener dazu befragter Polizisten hingegen weiß ich, daß diese das aus Erfahrung resultierende Fahrenkönnen und Schnellreagieren und damit das Unfällevermeiden von uns Radkurieren mit jährlich fünfstelligen Kilometerleistungen mitunter sogar noch als Nutzer eines fixies korrekt als sicherheitsfördernd ansehen. Hingegen wird von vielen Polizisten ein viel größeres Sicherheitsproblem in der Menge der Reginen, Margreths und Sigrids gesehen, die sich im Frühsommer von Ihren Kurts, Joachims oder Friedberts das achtzehn Kilo wiegende Kettler-Alurad aus dem Keller haben wuchten und mit der so schönen silbernen Handpumpe notdürftig auf ein Viertel des empfohlenen Luftdrucks haben "aufpumpen" lassen, "weil doch so schön ist, jetzt, draußen."
Ich wurde einst, als ich mit meinem Fixie den Glockengießerwall herauffuhr von einer Dame gefragt, ob das wohl eines dieser neuen amerikanischen Rennräder sei. Ich wußte sofort, daß sie Leserin desselben Rennradmagazins des Delius-Klasing-Verlages war, das ich auch abonniert habe. Über den derzeit sehr jungen Artikel hatte ich auch den Kopf nur schütteln können. Bahnräder [Vgl. englisch: "track bikes", italienisch: "bicicletta da pista", französisch: "vélo de piste"] haben sich entwickelt, nachdem im dritten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts erstmals in Paris eine Radbahn [Vgl. französisch: "vélodrôme"] gebaut und für ein Radrennen genutzt wurde. Das ist ja eigenartig – hat das mit den vereinigten Staaten von Amerika etwa gar nichts zu tun? Mensch!
Mein Brief hier ist ein verzweifelter Schrei gegen das falsche mediale Fürgefährlicherklären von und Aufmerksammachen auf jene Art von Fahrrädern, die es uns Radkurieren ermöglicht, nicht jeden Regentag einen finanziellen Ruin einzufahren. Was das heißt, wundern Sie sich? Das heißt, daß ich mit meinem kettengeschalteten und bremsgummiverzögerten Haupt-Arbeitsrad in meinem bislang teuersten Wintermonat, es war wohl der November '06, bei etwa 1.260 Kilometern über 300€ Verscheißkosten zu bezahlen hatte. Bremsgummis, die mit einem Regenwasser-Sand-Gemisch bei jeder Bremsung spürbar dünner und täglich durch neue ersetzt werden, Felgen, die dabei kaum weniger abreiben, und Ritzel, Ketten, Reifen. Mein Fixie hingegen hatte in seinen zweieinhalb Jahren meines Besitzes Verschleißkosten von zusammengezählt 31€: Ein Hinterreifen und ein günstiger Steuersatz.
In mutiger Hoffnung, daß die Gestaltung Ihres nächsten Artikels über fixed gear bikes die Ergebnisse Ihrer Recherchen weniger verfälscht präsentiert, verabschiede ich mich.
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